Ihr sogenanntes Scheibenschießen geht auf das Brauchtum des Mittelalters zurück, und wenn man fragt, warum sie ausgerechnet den Winter zu diesem fröhlichen Treiben wählten, dann muß man wissen, das große Teile der ländlichen Bevölkerung auch aus dem Wettruper Gebiet während der Sommermonate nach Holland zur Arbeit gingen. Folglich war diese Zeit für größere Volksfeste denkbar ungeeignet, so daß man sie in den Winter verlegte.
Als wir gestern morgen in die im Raureif liegende Gemeinde Wettrup fuhren, da wurden wir Zeuge des fröhlichen Auftaktes zum diesjährigen Scheibenschießen. Wer diese Gemeinde genauer kennt, wird sicher an zahlreichen Giebeln alter Bauernhäuser verwitterte oder auch neue Schützenscheiben entdeckt haben, deren Jahreszahlen teilweise in das vorige Jahrhundert zurückgehen. Diese Schützenscheiben verraten, daß in jenem Hause einmal ein Schützenkönig seinen Einzug hielt.
Wie bereits angedeutet, geht das Scheibenschießen in Wettrup auf ein Brauchtum zurück, das mit den Gepflogenheiten üblicher Schützenfeste nur wenig gemein hat. Wir entdeckten gestern morgen an der Spitze des Festzuges den sogenannten ,,Pajaz", mit einer Fuchskappe auf dem Kopf, fetten Mettwürsten um den Hals, eine Peitsche knallend und mit tanzenden Gebärden um den Festzug springend. Die ursprüngliche Bedeutung des ,,Pajaz" läßt sich nicht mehr einwandfrei nachweisen. Fest steht jedenfalls, daß er seit alters her für die Ordnung des Festverlaufes Sorge trägt und auch beim Schießen das Kommando führt. Es ist also eine sehr respektable Persönlichkeit, die gleichzeitig diesem fröhlichen Tag eine humoristische Note verleiht. In seinem weißen Anzug mit den buntbemalten Schützenscheiben auf der Rückseite können wir ihn mit einem Harlekin vergleichen, der über Witz und spaßige Einfälle verfügen muß. Wir bestätigen gern, daß sich der diesjährige ,,Pajaz" seiner Aufgabe zum Gaudium aller bestens entledigt.
Nachdem der Festzug mit klingendem Spiel den vorjährigen König sowie die Obersten und den Bürgermeister der Gemeinde von ihren Wohnungen abgeholt hatte, ging es zum König zurück, wo das Schießen auf die Scheibe begann. Jeder männliche Einwohner ab 16 Jahren ist hierzu aufgerufen. Pünktlich um 15.30 Uhr wird das Schießen beendet und der neue König ,,ausgekürt".
Wir haben uns erzählen lassen, daß in früheren Jahrzehnte mit Vorderladern aus 150 m Entfernung auf die schwarz-weiß-rote Schützenscheibe geballert wurde. Noch gern erinnern sich die älteren Einwohner von Wettrup dieser längst vergangenen Tage und manch nettes Histörchen über kuriose Zwischenfälle geht heute durch das Dorf. Wir können weiter berichten, daß gestern Anton Baar mit 91 Jahren noch immer auf der Liste der Schützen stand, dann mag dies ein Zeichen dafür sein, daß tatsächlich jeder Wettruper Bürger zu alter heimatlicher Tradition steht. Nicht nur durch Vereinsstatuten und Registereintragung wird hier jährlich dieses Fest gefeiert, das Scheibenschießen in Wettrup ist im besten Sinne des Wortes ein Fest der ganzen Gemeinde.
Die Lingener Tagespost wünscht der Wettruper Bevölkerung zu ihren fröhlichen Tagen, die am kommenden Sonntag enden, viel Spaß und einen harmonischen Verlauf. In diesem Jahr wird der König Hermann Schrichte durch August Brands abgelöst, der seine Ehefrau zur Königin wählte. Vizekönig wurde Bernhard Klus und seine Ehefrau Vizekönigin.
In den letzten fünf Jahren weist die Schützenkette folgende Könige nach:
Alfons Lampen mit Klara Altmann,
Bernhard Gösse mit seiner Ehefrau Johanna,
Hermann Schrichte mit seiner Ehefrau,
Bernhard Gösse mit seiner Ehefrau,
Hermann Schrichte mit seiner Ehefrau.
Man sieht also, dass man in Wettrup mehrmals König werden kann. Hier nämlich entscheidet tatsächlich allein der beste Schuß und nicht der Geldbeutel, wie es anderswo sein soll. Die älteste Plakette der Schützenkette stammt aus dem Jahre 1848. Leider ist die alte goldene Kette vor ca. 200 Jahren bei einem Brand vernichtet worden.
(Auszug aus der Lingener Tagespost von 1955)