Wettrup

Betreuer statt Eltern: So feiern sechs Kinder in Wettrup Weihnachten

Sie wurden vernachlässigt oder erlebten Dinge, die Kinder nicht erleben sollten. Sechs Jungen wird deshalb in einer neuen Wohngruppe des Christophorus-Werkes in Wettrup geholfen, das Leben ohne Eltern zu meistern - ein Besuch kurz vor Weihnachten.

Dustin* ist sechs Jahre alt, er malt gerne, spielt mit Autos – und ist in „Spider-Girl“ verknallt. Das gibt er offen zu. Vieles läuft normal im Leben des redseligen Jungen. Aber manches eben auch nicht: Dustin ist eines von sechs Kindern, die in einer betreuten Wohngruppe in Wettrup leben und nicht bei den Eltern.

 

Gemeinsame Mahlzeiten sind wichtige Eckpfeiler in der Wohngruppe. FOTO: SEBASTIAN HAMELErst im vergangenen Sommer hat das Christophorus-Werk Lingen die Gruppe eingerichtet. Die Jungen im Alter zwischen fünf und sieben Jahren, die aufgrund von Vernachlässigung oder traumatischer Erlebnisse nicht mehr bei ihren Eltern aufwachsen können, erfahren dort Halt, Sicherheit und Orientierung in einem familienähnlichen Miteinander. Selbst Weihnachten verbringen sie gemeinsam.

Bei der Gruppe handelt es sich um ein „intensiv-pädagogisches Wohnangebot“: Sechs Fachkräfte um Teamleiterin Anja Deters betreuen die Kinder, in der Regel sind immer zwei Kräfte vor Ort. Jedes Kind hat eine feste Bezugsperson.

Der Tag beginnt am frühen Morgen mit einem gemeinsamen Frühstück, ehe es für die Kinder zur Kita oder in die Schule geht. Ein geregelter Tagesablauf ist von größter Wichtigkeit: „Die Kinder brauchen Struktur“, erklärt Anja Deters. Als die Schule am vergangenen Montag im Emsland aufgrund von Glatteis ausgefallen ist, war das für einen der Jungen ein Weltuntergang. Der normale Lauf der Dinge war unvorhergesehen unterbrochen worden.

Seit 2011 bildet die Kinder- und Jugendhilfe als eigenständige GmbH eine der vier Säulen des Christophorus-Werkes. Die Wettruper Wohngruppe ist Teil des Kinder- und Reithofes, der bis 2021 von einem privaten Träger geführt und dann durch das Christophorus-Werk übernommen wurde.

In dem Gebäude in Wettrup, unweit der Kirche St. Antonius, waren früher Jugendliche betreut worden. Bevor im August die ersten Kinder der jetzigen Gruppe einzogen, wurde das Haus renoviert und neu möbliert. Grundsätzlich steht das Angebot sowohl Mädchen als auch Jungen offen. Aktuell leben dort nur Jungen.

Die Kinder stammen aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim, aber auch aus weiter entfernten Gegenden wie dem Ruhrgebiet. Bevorzugt werde allerdings die Betreuung von Kindern aus der „sozialräumlichen Nähe“. Denn eine Einbindung der Herkunftsfamilie wird grundsätzlich angestrebt, sagt Klazina Hartholt, Bereichsleitung der Kinder- und Jugendhilfe beim Christopherus-Werk.

Meist zeigten sich die Eltern kooperativ. Bei Treffen sei aber immer eine Betreuungskraft anwesend, damit sich die Kinder sicher fühlen. Eine Rückkehr in die Familie – sofern sich die Verhältnisse dort entsprechend verbessert haben – ist das langfristige Ziel. „Entscheidend ist dabei auch, was das Kind möchte“, sagt Klazina Hartholt. Die Alternative ist die Suche nach einem Ort, in dem das Kind betreut wird und eine Perspektive auf Selbständigkeit bekommt.

Nun steht aber erst einmal Weihnachten an. Schon am Donnerstag wurde ein kleine Weihnachtsfeier mit allen Betreuern begangen: Dazu gehörte ein gemeinsamer Besuch des Indoor-Spielplatzes „Western-Joe“ in Freren – und es gab für jeden der Jungen schon ein erstes Geschenk. Für Heiligabend ist der Besuch des Krippenspiels in der Kirche geplant, anschließend wird Pizza gegessen und jedes Kind erhält drei weitere Geschenke.

Die Präsente stammen unter anderem aus einer Spendenaktion des Rotary Clubs Lingen: Mehr als 40 liebevoll verpackte Geschenke überreichten diese an das Christophorus-Werk für Kinder und Jugendliche, die am Heiligabend in ihren Wohngruppen bleiben, weil sie nicht mit ihren Familien feiern können.

Das Christophorus-Werk betreibt 13 Wohngruppen, davon sechs in Lingen, zwei in Nordhorn und jeweils eine Spelle, Freren, Meppen, Herzlake, Lähden und eben in Wettrup. Hinzu kommen rund 80 Kinder und Familien, die ambulant betreut werden.

In Wettrup sei man sehr herzlich aufgenommen worden, unterstreicht Teamleiterin Anja Deters – vom Bäcker, der das Brot zur Erleichterung des Alltags per monatlicher Rechnung anbietet, bis hin zum Besitzer eines Wildtiergeheges, wo man auch stets willkommen sei. Ohnehin spielten Tiere eine wichtige Rolle: So würden etwa Hilfebedarfe bei körperlichen, seelischen und sozialen Störungen durch regelmäßiges heilpädagogisches Reiten professionell gefördert.

Langweilig wird es in Wettrup jedenfalls nicht. „Eher das Gegenteil“, meint Anja Deters lachend. Doch trotz mancher Herausforderung wollen sie und ihre Kollegen den Job nicht missen: „Jedes Kind ist faszinierend, auch wenn jeder seine Macken hat und es mal nicht rund läuft.“

Auch die Kinder scheinen sich in der Wohngruppe wohlzufühlen. Wie es mit Dustin und seinen fünf Mitbewohnern weitergeht, wird die Zukunft zeigen. Eine Sache ist für den Sechsjährigen allerdings klar. „Ich will Polizist werden“, sagt er. Warum? „Weil die für das Gute sind.“

*Name geändert

Beitrag aus der Lingener Tagespost, Originalartikel hier